Liebeselegie

Verfasst von Thorsten Antecki (Grundkurs Latein 11 (2004/05))

 

Allgemeines zur Elegie

Der Gedichtstyp „Elegie“ entstand um die Wende vom 8. zum 7. Jahrhundert vor Christus im griechischen Sprachraum. Der Name kommt vom griechischen „Elegos“, was soviel heißt wie „Klagegesang“, „Elegos“ wiederum kommt vermutlich von „è légein“ („Wehe!“ rufen). Der philologische Ursprung des Wortes impliziert, dass Elegien vornehmlich traurige Gedichte wären, dem ist aber nicht so; der Name wurde wahrscheinlich von den frühen Gedichten dieser Art abgeleitet, die vornehmlich trauriger Natur waren. Die Elegie steht im Gegensatz zum „Epos“. Das Epos ist der unter den Laien wohl bekannteste griechische Gedichtstyp - in ihm wurden z. B. die „Odyssee“ und die „Aeneis“ verfasst. Das Epos wird benutzt, um Heldentaten zu schildern; dabei stehen die Geschehnisse im Vordergrund und der Autor hat keine Möglichkeit, seine eigene Meinung wiederzugeben. Bei der Elegie hingegen, kann der Dichter seine Gedanken/Meinungen zu bestimmten Themen äußern. Dieser Subjektivitätsaspekt ist ein wichtiges Merkmal der Elegie.

Entwicklung der Liebeselegie

Liebeselegie kam schon im griechischen Sprachraum vor, Unterschied sich aber substantiell von der römischen Elegie. In der griechischen Elegie war die subjektive Erotik (Das Schildern der eigenen Gefühle zu einer anderen Person bzw. das Schildern der Gefühle aus einer Ich-Perspektive) selber eher selten das Hauptthema der Gedichte, vielmehr wurden Gedichte, in denen Liebe nur eine Nebenrolle spielt bzw. Gedichte, in denen unpersönliche Liebe das Hauptthema ist, einer Geliebten gewidmet. Ein Beispiel für den ersten Typ wäre eine Gedichtssammlung von Mimnermos, in der Liebe aus einer gewissen Distanz betrachtet wird (der Autor ist dabei selber nicht zwingend der Liebende, sondern schildert seine Gedanken zur Liebe als „Sache“). Beispiel für den zweiten Typ hingegen wäre Antimachos’ „Lyde“, in der er diverse Mythen mit dem Thema Liebe zusammengefasst hat und seiner Geliebten Lyde widmet. Interessant ist, dass die meisten dieser Mythen ein tragisches Ende haben, was eine Verknüpfung mit dem philologischen Ursprung des Wortes „Elegie“ darstellt. Im Allgemeinen kann an sagen, dass der bekannten griechischen Liebeselegie die Liebesmotive in Sagen/Mythen den Vorrang gegenüber der subjektiven Erotik haben. Es gibt aber Hinweise darauf, dass diese Gedichte „nur“ verloren gegangen sein könnten: In einigen ihrer Gedichte vergleichen sich römische Elegiker mit ihrer griechischen Vorbildern. Dabei finden sich verhältnismäßig deutliche Hinweise darauf, dass schon in der griechischen Liebeselegie subjektive Erotik vorkam. Allerdings gibt es auch Thesen, die dies widerlegen. Also sollte man davon ausgehen, dass es nur sehr wenige bis gar keine subjektive Erotik in der griechischen Liebeselegie gab.

Römische Liebeselegie

Die römische Liebeselegie hat durchaus Gemeinsamkeiten mit ihrem griechischen Pendant, unterscheidet sich aber in einigen wichtigen Punkten. Die größte und auffälligste Gemeinsamkeit ist sicherlich, dass beide dasselbe Metrum haben, nämlich das „Elegische Distichon“. Dies mag zunächst unwichtig erscheinen, allerdings muss man sich klar machen, dass Metren in der Antike eine ganz andere Bedeutung haben als heute und ein Gedicht schon durch sein Metrum klassifiziert werden konnte. Die Tatsache, dass sich beide ein Metrum teilen, beweißt, dass sie beide demselben Gedichtstyp, der Elegie, angehören. Der auffälligste Unterschied ist die Tatsache, dass sich römische Liebeselegie vorwiegend mit der subjektiven Erotik. Dies macht die römische Liebeselegie zu einem einzigartigen Gedichtstyp. Allerdings wurde auch anderswo die subjektive Erotik thematisiert, zum Beispiel in den Epigrammen (frühen griechischen Schriftstücken). Ein weiterer Unterschied ist, dass die römischen Liebeselegien einige inhaltliche Merkmale besitzen, die sehr häufig auftauchen und für diesen Gedichtstyp charakteristisch sind. Es handelt sich dabei um:

1. militia amoris („Kriegsdienst der Liebe“)

Der Autor vergleicht seine Aktivitäten in der Liebe mit militärischen Diensten und Manövern.

So zum Beispiel in Tibull I 1, 75:

Hic ego dux milesque bonus:[...].

 

2. servitium amoris („Sklaverei der Liebe“)

Der Autor stellt sich als Sklave der Liebe oder seiner Geliebten dar. Das ist insbesondere im letzten Fall paradox, da der Mann in der römischen Gesellschaft eine höhere Stellung hatte als die Frau, sich hier aber als „servus“ neben seiner „domina“ erniedrigt.

Ein Beispiel dafür ist in Tibull I 1, 55 zu finden:

Me retinent vinctum formosae vincla puellae, […].

 

3. foedus aeternum („Ewiger Bund“)

Der Autor will eine lebenslange Beziehung anstatt einer kurzen Affäre; er will seinen Lebensabend mit seiner Geliebten verbringen; dies ist eine interessante Parallele zur Institution der christlichen Ehe. Eine Instanz dieses Merkmals findet sich in Tibull I 1, 59-60:

Te spectem, suprema mihi cum venerit hora, te teneam moriens deficiente manu.

 

4. Kritik an gesellschaftliche Normen

Der Dichter lehnt sich gegen die in Rom als erstrebenswert angesehenen römischen Tugenden (z. B. Tapferkeit) oder Karrieren (z. B. Feldherr, Politiker) sowie andere Ziele (z. B. Erwerb von Reichtum) auf. Er sieht dabei seine Hauptpflicht in der Ausübung amouröser Taten und hält nur Erfolg in der Liebe als wirklich erstrebenswert. Insbesondere bei Tibull lässt es den Autor teilweise faul erscheinen, da dieser trotz seiner Inaktivität einen gewissen Lebensstandard nicht missen möchte.

Ein Beispiel für dieses Merkmal bietet Tibull I 1, 1-6:

 

Divitias alius fulvo sibi congerat auro et teneat culti iugera multa soli, quem labor adsiduus vicino terreat hoste, Martia cui somnos classica pulsa fugent: me mea paupertas vita traducat inerti, dum meus adsiduo luceat igne focus.

 

Literatur: Holzberg, Niklas: Die römische Liebeselegie, Darmstadt 1990, 1 ff.

zurück zur Übersicht


Soziale Entstehungsvoraussetzungen der Liebeselegie

Verfasst von Constantin Degener (Grundkurs Latein 11 (2004/05))

Die Vorstellungen von einer Frau beim Römer sind genau der Gegensatz zu den Vorstellungen des Elegikers. Der Römer hatte eine Ehefrau (matrona / mater familias), die in Rom ein besonders hohes Ansehen genoss, aber bis zum ersten Jahrhundert v. Chr. in vollkommener Abhängigkeit zu ihrem Mann stand. Seit dem war sie partiell emanzipiert und hatte ihr eigenes Vermögen und ein Scheidungsrecht mit Gütertrennung, wobei die Mitgift dabei dem Manne zugesprochen wurde. So konnte sie ihren Mann in gewissem Maße in Abhängigkeit halten. Die Ehefrau des Römers hatte sich ihm trotz der Rechte vollkommen zu unterwerfen. Das „Hausmütterchenverhalten“ galt als höchste weibliche Tugend. Der Römer heiratete eine Frau meist um seine wirtschaftliche und soziale Lage zu verbessern wobei die Frau nach der Eheschließung nur da war, um den Haushalt und die Kindeserziehung zu organisieren und Kinder zu gebären. Außerdem stand sie ihrem Mann als geistige Partnerin zur Seite, wobei sie den gleichen Stand hatte wie ihr Mann. Die Sexualität mit ihr war bei den Römern allerdings verpönt. Miteinander geschlafen wurde nur im Dunkeln, während sie regungslos da lag. Der Sex diente nur der Kinderzeugung. Liebesfreuden erfüllten dem Mann Sklavinnen oder Prostituierte, die dem Mann sozial deutlich untergeordnet waren.

Der Elegiker dagegen verband diese beiden Frauen in einer. Diese war seine Geliebte und war sowohl seine geistige Partnerin, als auch die, mit der er seine sexuellen Freuden auslebte. Er verhielt sich ihr gegenüber oft sogar devot. Somit stellt das elegische Wertesystem eine Gegenwelt zum spätrepublikanischen Pflichtenalltag der Römer dar, das die römischen Normvorstellungen von einer Ehe auf den Kopf stellte und konservative Römer erschreckte.

In der Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Christus kam ein neuer Frauentyp auf. Diese Frau war elegant und gebildet und oft eine wohlhabende Hetäre mit dem Status einer Libertine, die Zugang zu höheren Kreisen hatte. Sie war als Tänzerin oder Sängerin bei den Gastmählern der Reichen zu finden und wurde dann Freundin bzw. Geliebte eines nobilis oder eques (Ritters). Diesem erfüllte sie das sexuelle Verlangen und war seine geistige Partnerin. Viele adelige Römer führten langjährige eheähnliche Beziehungen mit ihnen.

 

Literatur: Holzberg, Niklas: Die römische Liebeselegie, Darmstadt 1990, 12 ff.

zurück zur Übersicht